17. April 2025
9,3 Minuten

Rüstungsaktien: Attraktives Investment oder riskanter Hype?

* Bild mit generativer KI erstellt

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs erlebten Rüstungsunternehmen einen massiven Boom. Die Auftragsbücher füllten sich, Verteidigungsetats stiegen und Waffenlieferungen mussten ersetzt werden. Unternehmen wie Rheinmetall und Hensoldt meldeten Rekordaufträge mit Wachstumsraten von teilweise über 40 bis 60 Prozent. Analysten und Banken sprangen auf den Zug auf und kauften Rüstungsaktien zunehmend als „Must-have“ in Anlegerportfolios.

Wagner & Florack veröffentlichte am 16.03.2024 einen spannenden Artikel zu diesem Thema unter der Fragestellung, ob Rüstungsaktien in jedes Portfolio gehören. Letztlich entstand folgendes Fazit: Rüstungsaktien mögen kurzfristig gefragt sein – aber aus langfristiger, unternehmerischer Sicht sind sie kein attraktives Investment. Sie ähneln Industrien wie dem Maschinen- oder Flugzeugbau und sind kapitalintensiv, margenschwach und wenig skalierbar. Für Langfristinvestoren mit Fokus auf Profitabilität, Skalierung und Cash-Flow seien sie deshalb ein klares No-Go.

Seit der Veröffentlichung des Artikels von Wagner & Florack im März 2024 hat sich die geo- und sicherheitspolitische Lage Europas erheblich verändert, was die Diskussion über Investitionen in Rüstungsaktien erneut entfacht hat.

  • Anhaltender Ukraine-Konflikt und geopolitische Spannungen
  • Erhöhte Verteidigungsausgaben in Deutschland und Europa
  • Diskussionen über NATO-Strategieanpassungen
  • Öffentliche Meinung und ethische Debatten
  • Aktuelle Entwicklungen auf den Finanzmärkten

Trotz der erhöhten Verteidigungsausgaben und der geopolitischen Spannungen stehen Rüstungsaktien wie die von Rheinmetall unter Druck. Die Einführung der Zölle durch US-Präsident Donald Trump haben zu einem massiven Ausverkauf an Europas Börsen geführt, wobei insbesondere Verteidigungsaktien betroffen sind. Während einige die steigenden Verteidigungsausgaben und die sicherheitspolitische Lage als Argumente für Investitionen sehen, bleiben die strukturellen Herausforderungen der Rüstungsindustrie, wie hohe Kapitalintensität und geringe Margen, bestehen.

Wir haben mit Herrn Dominikus Wagner von Wagner & Florack gesprochen und sind der Frage, ob Rüstungsaktien wirklich ins Depot gehören, noch einmal detaillierter nachgegangen. Herr Wagner war so freundlich und hat unseren kritischen Fragen Rede und Antwort gestanden und seine Einschätzung ausgesprochen.

Mademann & Kollegen: Was hat sich aus Ihrer Sicht seit der Veröffentlichung Ihres Artikels im März 2024 verändert – ökonomisch wie politisch?

Dominikus Wagner: Die geopolitischen Spannungen haben in den vergangen 12 Monaten weiter zugenommen, die angekündigten milliardenschweren Verteidigungsausgaben – Stichwort Zweifel an der Nato-Bündnistreue der USA – haben den Boom der (europäischen) Rüstungsunternehmen zuletzt weiter befeuert. Die in den vergangenen Wochen von Donald Trump angekündigten Zölle sorgten für Turbulenzen an den Märkten – auch Rüstungsaktien gerieten kurzfristig unter Druck. Letztlich zeigt sich: Die politische Unberechenbarkeit nimmt zu, die strukturellen Schwächen im Geschäftsmodell der Rüstungsunternehmen bleiben:

  • Begrenzte Skaleneffekte in der Waffenproduktion
  • Abhängigkeit von wenigen Großkunden und Staaten
  • Politische Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen
  • Geringe Preissetzungsmacht gegenüber staatlichen Abnehmern
  • Zudem sind die Geschäftsmodelle von Rüstungsunternehmen sehr kapitalintensiv
  • Hohe Verschuldung und relativ niedrige Margen lassen nur überschaubare Free Cash Flows zu. Das Wachstumspotenzial der Margen ist geschäftsmodellbedingt begrenzt.

Mademann & Kollegen: Damals sprachen Sie von einem „schönen Schein“, der über strukturelle Schwächen hinwegtäuscht. Hat sich an diesen Fundamentaldaten etwas geändert – z. B. bei Margen, Cashflow oder Kapitalbindung?

Dominikus Wagner: Nein. Der massiv gestiegene Auftragsbestand erfordert von den Rüstungsfirmen vor allem enorme Investitionen in die Erweiterung von Produktionskapazitäten und den Aufbau entsprechender Lagerbestände. Beides bindet Kapital und belastet den (Free) Cash Flow. So können die Margen nur begrenzt steigen, selbst wenn es den Firmen gelingt, gewisse Skaleneffekte in der Produktion zu erzielen. Um die großen Investitionen zu stemmen, reichen die freien Finanzmittel in der Regel nicht aus, so dass auch die Verschuldung der Rüstungsfirmen steigt. Das Margen- und Gewinnpotenzial bleibt somit trotz prall gefüllter Auftragsbücher limitiert.

Mademann & Kollegen: Wie hat sich die Bewertung der erwähnten Unternehmen wie Rheinmetall oder Hensoldt seitdem entwickelt – und hat diese Entwicklung Ihre damalige Einschätzung bestätigt oder widerlegt?

Dominikus Wagner: Unsere Einschätzung ist unverändert. Die Auftragsbücher sind zwar voll, parallel dazu ist aber auch die Bewertung an der Börse extrem gestiegen, ohne dass sich jedoch die strukturelle Profitabilität wesentlich verbessert hätte. Als unternehmerisch denkende Investoren blicken wir nicht nur auf das „phänomenale“ Absatzpotenzial, sondern behalten auch das Margen- und Gewinnpotenzial im Auge, und das ist bei Rüstungsunternehmen – selbst in der „besten“ aller Welten – geschäftsmodellbedingt limitiert.

Vielleicht ist es im Umfeld des allgemeinen „Rüstungsoptimismus“ etwas schwieriger geworden, unseren Argumenten Gehör zu verschaffen, aber sie behalten ihre Gültigkeit

Mademann & Kollegen: Sie betonten damals die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen und Großkunden. Wie bewerten Sie diese Abhängigkeit heute – gerade im Hinblick auf die Diskussionen um höhere Verteidigungsetats in Deutschland und Europa?

Dominikus Wagner: Die Abhängigkeit nimmt tendenziell zu: Höhere Verteidigungsetats erfordern kapitalintensive Kapazitätserweiterungen – die nur sinnvoll sind, wenn die Nachfrage dauerhaft hoch bleibt. Der Kundenkreis wächst aber nicht unbegrenzt. Wer weiß, was passiert, wenn der große Nachholbedarf an Rüstungsgütern wieder nachlässt? Was, wenn die Bundesregierung viele der Rüstungsmilliarden im Rahmen eines „Deals“ doch in den USA ausgibt? Rüstungsunternehmen können nicht einfach auf einen anderen Markt ausweichen. Sie bleiben auf ihre staatlichen Auftraggeber angewiesen, die nicht allein ökonomisch-rationalen Motiven folgen.

Mademann & Kollegen: Der Ukraine-Krieg dauert an, hinzu kommen neue Konflikte im Nahen Osten und zunehmende Spannungen in Asien. Inwiefern verändert diese Eskalation Ihre Einschätzung zu Rüstungsaktien?

Dominikus Wagner: Die Kriege und Konflikte in der Welt sind bedrückend – für Rüstungsunternehmen schaffen sie jedoch ein „positives“ Marktumfeld, dies ändert aber nichts an der strukturellen Schwäche ihrer Geschäftsmodelle, selbst wenn sich überschaubare Skaleneffekte heben lassen, dadurch die Margen steigen und das Unternehmen höhere Gewinne erzielt.

Mademann & Kollegen: Viele westliche Staaten kündigen langfristige Investitionen in ihre Verteidigung an. Führt diese verstetigte Nachfrage nicht doch zu mehr Planbarkeit und damit zu unternehmerischer Attraktivität?

Dominikus Wagner: Sicherlich erhöhen langfristig ausgelegte Rüstungsprogramme die Planbarkeit – ja. Aber gleichzeitig steigt die Kapitalbindung. Förderprogramme und Sondervermögen verändern die Nachfrage, aber nicht die Grundstruktur der Branchenunternehmen.

Mademann & Kollegen: Viele Investoren differenzieren heute stärker zwischen ethischer und wirtschaftlicher Bewertung. Kann man – aus rein wirtschaftlicher Sicht – bei Rüstungsaktien mittlerweile von einem attraktiven Anlage-Case sprechen?

Dominikus Wagner: Für uns sind und bleiben Rüstungsaktien geschäftsmodellbedingt ein auf lange Sicht unattraktiver Investment-Case. Hohe Investitionskosten, begrenzte Margen, kaum freie Mittel für Wachstum – all das passt nicht zu unserer Investmentphilosophie unternehmerisch denkender Langfristinvestoren.

Mademann & Kollegen: Wie würden Sie die aktuelle Bewertung der Branche einschätzen – sind Rüstungswerte überhitzt, fair oder unterbewertet?

Dominikus Wagner: Bei Rheinmetall beispielsweise beträgt der Enterprise Value etwa das 50-fache des Free Cash Flows – bei solchen Werten sprechen wir gerne von einer „Ikarus“-Bewertung, das ist schon ziemlich nah an der Sonne… Aus unserer Sicht wären langfristig Bewertungen zwischen dem 10- bis 15-fachen des Free Cash Flows angemessen.

Mademann & Kollegen: Wie stehen Sie zur ethischen Diskussion rund um Rüstungsinvestments – gerade mit Blick auf ESG-Ratings, Ausschlusskriterien und neue Interpretationen von „Verantwortung“?

Dominikus Wagner: Wir investieren aus unternehmerischen Gründen nicht in Rüstungsunternehmen. Gleichwohl zählt die Gewährleistung von Sicherheit zu den elementaren staatlichen Pflichtaufgaben. Im Vertrauen auf den Beistand der USA wurden die Militärausgaben jedoch in vielen europäischen Staaten über Jahre und Jahrzehnte hinweg vernachlässigt. Mit dem Ukraine-Krieg und Zweifeln am Nato-Beistand der USA hat in der Politik ein abruptes Umdenken eingesetzt, das auch auf die Finanzbranche ausstrahlt. Galt Rüstung „gestern“ im Sinne der ESG-Regulierung als nicht nachhaltig, so werden Rüstung und Nachhaltigkeit „heute“ nicht mehr als unvereinbarer Gegensatz gesehen. Die veränderte Sicherheitslage führt zu einer breiteren Debatte über „verantwortungsvolle“ Rüstung. Die ethische Bewertung von „Rüstung“ ist subjektiv – und es gibt für jede Haltung passende Investmentprodukte.

Mademann & Kollegen: Viele Stimmen argumentieren heute: ‚Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit.`Halten Sie das für ein tragfähiges Argument ?

Dominikus Wagner: Sicherheit ist zweifelsohne Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Das macht Rüstungsunternehmen aber nicht sofort auch zu einem sinnvollen Investment. Politische Notwendigkeit ersetzt jedoch kein unternehmerisch attraktives Geschäftsmodell. Als Investoren achten wir vor allem auf Letzteres.

Mademann & Kollegen: Wenn Sie heute vor der Entscheidung stünden: Rüstungsaktien ins Depot nehmen – ja oder nein?

Dominikus Wagner: Unsere Antwort lautet: Nein. Rüstungsunternehmen bleiben für uns aus unternehmerischer Sicht ein No Go. Sie sind und bleiben kapitalintensiv, schwer skalierbar, margenschwach, sie verfügen über keine Preissetzungsmacht und bleiben abhängig von wenigen (staatlichen) Großkunden sowie politischen Entscheidungen. Sicherlich werden Rheinmetall und Co. in den kommenden Jahren mehr Geld verdienen und begrenzt höhere Margen erzielen. Aber verglichen mit kapitalleichten Unternehmen und ihren skalierbaren Geschäftsmodellen ist dieses Potenzial stark begrenzt.

Mademann & Kollegen: Gibt es aus Ihrer Sicht Geschäftsmodelle oder Firmen im Sicherheitsbereich (z. B. Cyberabwehr, Dual-Use-Technologien), die attraktiver erscheinen als klassische Rüstungswerte?

Dominikus Wagner: Für uns nicht. Auch – im Vergleich zu klassischen Rüstungsherstellern – kapitalleichtere Anbieter bleiben strukturell im staatlich regulierten Rüstungsmarkt „gefangen“.

Wir bedanken uns an der Stelle recht herzlich bei Dominikus Wagner für die Beantwortung unserer Fragen und hoffen Ihnen einen umfassenderen Blick auf das Thema geben zu können.

Unsere Einschätzung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bedeutung von Rüstungsaktien angesichts der Umbrüche in der europäischen Industrie deutlich zugenommen hat. Während die Autoindustrie durch Dekarbonisierung, Digitalisierung und internationale Konkurrenz unter Druck steht, profitieren Rüstungsunternehmen vom Anstieg der Verteidigungsausgaben und geopolitischen Spannungen. Für Anleger bieten Rüstungsaktien daher eine Alternative, da die Nachfrage nach Verteidigungsgütern weniger konjunkturabhängig ist und durch staatliche Budgets gestützt wird. In einem diversifizierten Portfolio können sie somit als Stabilitätsanker dienen.

Als Vermögensverwalter sehen wir wie Herr Wagner jedoch die langfristigen strukturellen Schwächen der Branche: hohe Kapitalintensität, geringe Margen und starke politische Abhängigkeit bleiben trotz voller Auftragsbücher bestehen. Dennoch ist die Nachfrage von Anlegern nach Investments in diesem Sektor gestiegen, weshalb wir bei entsprechender Nachfrage auf breite Risikostreuung achten, um Klumpenrisiken zu vermeiden.

Ein zentrales Problem bleibt der Widerspruch zu nachhaltigen Anlagekriterien: Rüstungsprodukte wie Waffen und Munition sind per Definition nicht nachhaltig und stehen im Gegensatz zu ESG-Grundsätzen. Auch wenn sich die ESG-Kriterien gelockert haben und manche Investoren Rüstungsaktien inzwischen als „verantwortungsvoll“ einstufen, bleibt die ethische Bewertung umstritten. Die ESG-Integration basiert meist auf politischen und gesellschaftlichen Debatten, nicht auf veränderten Geschäftspraktiken.

Fazit:

Rüstungsaktien sind im Zuge der europäischen Industrie-Transformation aktuell ein bedeutendes Thema und bieten kurzfristige Chancen. Die ethischen und strukturellen Bedenken bleiben jedoch bestehen. Transparenz und die individuelle Entscheidung des Kunden stehen für uns im Vordergrund – eine aktive Allokation in Rüstungswerte überlassen wir unseren Beratern, die die Mandanten am besten kennen. Unsere Aufgabe als Vermögensverwalter sehen wir darin, Kunden transparent über Risiken und Zielkonflikte zu informieren und ihnen die Entscheidung zu überlassen, ob sie Rüstungsaktien ins Portfolio aufnehmen möchten.

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